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An dieser Stelle berichte ich aus meiner persönlichen Perspektive über aktuelle Themen, spannende Entwicklungen und auch mal über Herausforderungen, die mir in der Welt der IT und Beratung begegnen. Mir ist bewusst, dass meine Beiträge keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Korrektheit erheben. Vielmehr möchte ich meine Gedanken, Erkenntnisse und auch offene Fragen mit Euch teilen – in der Hoffnung, gemeinsam neue Blickwinkel zu entdecken und zu reflektieren, wie wir digitale Barrieren abbauen und nachhaltige Innovationen vorantreiben können.
2025-03-16
Barrierefreiheit als Gamechanger – Eine Vision aus meinem Berlin-Erlebnis
Vor kurzem stieß ich auf einen LinkedIn-Artikel, der meine Vorstellungskraft beflügelte und mich dazu inspirierte, über die Nutzung von Mixed-Reality-Technologien als Hilfsmittel für mehr Inklusion nachzudenken. Der Originalbeitrag thematisierte experimentelle Anwendungen von Mixed Reality und KI-gestützten visuellen Effekten – ein künstlerischer Ansatz, der für mich schnell zu einer ganz anderen Idee umfunktioniert wurde.
Hier würde ich gerne den Link zum ursprünglichen LinkedIn-Beitrag posten, jedoch finde ich ihn nicht wieder - ich reiche das nach - der Text lautete jedenfalls grob, wie folgt:
Mixed Reality: Kunst und Funktion in Echtzeit
In meinem neuesten Experiment kombiniere ich Mixed-Reality-Skizzen mit AI-generierten Texturen, um die physische Welt in Echtzeit in ein lebendiges Gemälde zu verwandeln. Mithilfe von Meta Quest und Stream Diffusion gelingt es, eine Van-Gogh-ähnliche Atmosphäre zu erzeugen, die nicht nur künstlerisch, sondern auch funktional ist.
"I've been experimenting with mixed reality sketches, layering AI-generated textures onto the physical world all in real time. Using Meta Quest's depth map, I feed it into Stream Diffusion's depth control net, allowing the AI to interpret and reshape the scene with painterly brushstrokes. The result? A dynamic Van Gogh-like effect that transforms reality into a moving, living painting. To achieve this, I use NDI to send depth data from Meta Quest to a computer, where the AI processes and applies the painterly effect. The modified visuals are then streamed back to Meta Quest, seamlessly integrating with the user's environment. This is still an exploration, but it opens up exciting questions: How else can AI reimagine perception in XR? What other artistic or functional layers could be added to mixed reality?"
Schreibt der Autor. Die Idee, die mir dabei kam, war eine etwas andere, als unsere Welt in Kunst zu verwandeln. Könnte man eine solche XR-Wahrnehmung in den Alltag integrieren, so könnte man damit einige interessante Hilfestellungen für Menschen mit Einschränkungen erzeugen. Mir fiel dann gleich wieder eines der unzähligen Beispiele ein, wo ich mich gefreut hätte, eine solche Technik als Wegweiser nutzen zu können.
Ein typisches Berlin-Erlebnis...
Nach einem interessanten Capgemini After-Work-Event in Berlin mache ich mich 2019 auf den Weg in mein Hotel. Am Alexanderplatz endet meine U-Bahn - man wurde während der Fahrt freundlich per Lautsprecher darauf hingewiesen, dass es Schienen-Esatzverkehr gebe. In der
Dunkelheit folge ich den roten Klebe-Fußabdrücken, die als provisorische Wegweiser dienen. Unterirdisch werde ich über Bahnsteige, Treppen auf und ab geführt... Doch plötzlich endet diese Fußabdruck-Spur mitten in einer großen Halle, in der ich noch nie zuvor gewesen bin. Niemand mehr zu sehen (es ist ja auch recht spät und unter der Woche...), und es gibt keine (lesbare) Beschilderung. Für einen Moment stehe ich orientierungslos da und fragte mich, ob man hier auf Berliner Insider--Wissen angewiesen ist, oder ob wieder irgendwo ein Schild hängt, welches ich nicht sehe...
Man stelle sich jetzt vor, ein eingeblendetes Navigationssystem auf dem Smartphone, oder sogar in einer XR-Brille, ähnlich dem Navigationssystem eines Videospiels würde in Echtzeit meinen Weg anzeigen – klare, leuchtende Symbole und dynamische Hinweise, die mich sicher zu meinem Ziel führen. Das wäre nicht nur ein technischer Fortschritt, sondern hätte auch einen enormen Mehrwert für Menschen, die tagtäglich mit Barrieren kämpfen. ...man wird jawohl noch träumen dürfen. :)
Ein anderes potenzielles Anwendungsbeispiel: Gebärdensprache in Echtzeit
Ein weiteres spannendes Szenario, das mir in den Sinn kam, betrifft den Einsatz von Mixed Reality zur Unterstützung von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen. In einem Geschäftsgespräch oder einem Meeting könnte ein MR-System automatisch erkennen, wenn ein Sprecher aktiv ist, und in Echtzeit eine Übersetzung in Gebärdensprache einblenden – etwa als virtueller Avatar oder als animierte Gebärden-Symbole direkt im Sichtfeld.
Natürlich wäre eine solche Funktion ein großer Schritt zur Inklusion. Doch hier darf man sicher sein: Die DSGVO macht es uns sicher schwer, diese Potenziale voll auszuschöpfen. Während wir bestrebt sind, eine barrierefreie Kommunikation, Navigation und Inklusion zu ermöglichen, stehen wir uns – ironischerweise – oft selbst im Weg, wenn es um Themen, wie Datenschutz geht. Es bleibt spannend, wie wir diese Balance zwischen technischer Innovation und rechtlichen Rahmenbedingungen in Zukunft meistern können.
Der Blick in die Zukunft
Die Vision, die aus solchen Erlebnissen entstand, geht weit über eine einfache Navigationshilfe hinaus. Die Kombination aus klassischen Hilfsmitteln, Mixed Reality, KI und adaptiven Übersetzungssystemen könnte unseren Alltag revolutionieren. Mit solchen innovativen Ansätzen werden Barrieren nicht nur abgebaut, sondern zu Chancen, die Inklusion nachhaltig voranzutreiben.
Solange Unternehmen Barrierefreiheit und Inklusion lediglich als nette Zusatzleistung betrachten und sich damit nur dann auseinandersetzen, wenn sie daraus einen unmittelbaren Vorteil ziehen, liegt es an visionären, kreativen Köpfen, die bestehenden Lücken und Fehler zu überbrücken. Dieser Innovationsgeist kommt nicht nur Menschen mit Einschränkungen zugute – er fördert eine umfassende Kultur der Chancengleichheit und des Miteinanders.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) steht vor der Tür, und zahlreiche Agenturen sowie Unternehmen springen nun auf den Zug Richtung „Accessibility“ auf. Aus einem gewissen Blickwinkel ist das großartig: Mehr Aufmerksamkeit für Barrierefreiheit kann nur positiv sein. Gleichzeitig entsteht jedoch eine Art Aktionismus – mit raschen „Wunderlösungen“, die Kund*innen oft nicht unterscheiden können. Dabei bietet das BFSG eigentlich eine hervorragende Gelegenheit, ein nachhaltiges Mindset zu formen, bei dem Barrierefreiheit von Beginn an Teil des Design-Prozesses ist.
Die Parallele zum großartigen Software-Design
In seinem Beitrag „What is Great Software Design?“ verweist Sean Goedecke darauf, dass wirklich gutes Software-Design weder rein technisch noch rein visuell ist, sondern vor allem den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Eine Software wird dann „großartig“, wenn sie nicht nur solide programmiert ist, sondern auch auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen eingeht – von Anfang an.
Genau dieser Ansatz gilt ebenso für Barrierefreiheit:
Menschenorientierung statt Scheinlösungen
Genauso wie in Goedeckes Artikel die Nutzer*innen im Zentrum stehen, sollte Accessibility nicht als nachträgliches Feature gelten. Sogenannte „Schnell-Schnell-Lösungen“ setzen meist nur Pflaster an offensichtlichen Stellen, ohne das Problem an der Wurzel zu packen. Das Resultat: schlechte User Experience und Barrieren, die weiterhin bestehen.
Design-Prozess konsequent von Anfang an
Goedecke betont, dass großartiges Design das Problem zunächst gründlich versteht und dann zielgerichtet löst. Überträgt man das auf Barrierefreiheit, sollte das Team bereits während des Konzepts überlegen, wie Nutzer*innen mit Sehbehinderungen, motorischen Einschränkungen oder kognitiven Beeinträchtigungen mit dem Produkt interagieren. Spätere Implementierungen sind meist teurer und weniger effektiv.
Nachhaltigkeit vs. kurzfristige Gewinne
„Great Design“ ist langlebig und zukunftssicher. Wer Accessibility einkalkuliert, investiert in eine nutzerzentrierte Lösung. Das erhöht nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern stärkt auch die Marke. Reine Marketing-Aktionen mögen kurzfristig Umsatz bringen, verpuffen aber rasch, wenn die Nutzer*innen merken, dass die Barrieren nicht wirklich verschwinden.
Mehrwert für alle – nicht nur eine Pflichtübung
Wie Goedecke im Hinblick auf Software-Design sagt: Ein richtig gutes Produkt funktioniert für möglichst viele Anwendungsfälle – nicht nur für die „typischen“ Szenarien. Barrierefreiheit macht Systeme benutzerfreundlicher, was letztlich allen zugutekommt:
Am Ende bleibt festzustellen: Das BFSG kann ein idealer Startschuss sein, um Accessibility fest im Design-Prozess zu verankern. Statt sich von einem undurchsichtigen Angebot an „schnellen“ Lösungen blenden zu lassen, lohnt es sich, an die Grundlagen großartigen Software-Designs (wie in Sean Goedeckes Beitrag beschrieben) anzuknüpfen.
Wer Barrierefreiheit von vornherein mitdenkt, schafft Produkte, die zugleich zukunftssicher sind und den Bedürfnissen aller gerecht werden. Großartiges Software-Design und echte Inklusion bedingen sich gegenseitig. Echte Veränderungen brauchen ein geschärftes Problembewusstsein, Know-how über inklusive Gestaltung und – am allerwichtigsten – den Willen, bereits beim ersten Pinselstrich des Designs an alle zu denken.
Mein Google Alert zum Stichwort „BFSG“ meldet in letzter Zeit täglich neue Treffer. Einerseits freut es mich, dass das Thema digitale Barrierefreiheit nun endlich die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Gleichzeitig stimmt es mich nachdenklich, dass es erst eines Gesetzes wie des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) bedurfte, um etwas in den Fokus zu rücken, das für mich persönlich schon immer selbstverständlich war.
Viele Anbieter versprechen nun schnelle Lösungen, darunter auch sogenannte Accessibility-Overlays, die mit einem einzigen Klick aus jeder Webseite eine barrierefreie Plattform machen sollen. Doch ich kann mir – auch aus eigener Erfahrung – nicht vorstellen, dass es so einfach ist. Barrierefreiheit ist kein „technisches Pflaster“, das man nachträglich aufklebt, sondern vielmehr eine Haltung und Methode, die von Beginn an im Design- und Entwicklungsprozess verankert sein muss.
Experten sehen den Einsatz dieser Overlays ebenso kritisch: Laut einer Studie von WebAIM halten 72 % der betroffenen Nutzer solche automatischen Lösungen für unzureichend (Overlay Fact Sheet, 2023). Ähnlich urteilt auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) und weist darauf hin, dass echte Barrierefreiheit nicht durch externe, automatisierte Tools allein erreicht werden kann (DBSV Stellungnahme, 2023). Auch offizielle Prüfstellen wie BITV raten von Overlay-Lösungen explizit ab, da sie oft mehr Probleme schaffen, als sie lösen (BITV-Test, 2023).
Echte Barrierefreiheit geht jedoch weit über bloße Gesetzeskonformität hinaus. Sie zielt darauf ab, digitale Produkte und Services so zu gestalten, dass sie von wirklich allen Menschen gleichermaßen genutzt werden können. Dies bringt nicht nur einen Imagegewinn, sondern erschließt Unternehmen auch neue Zielgruppen (Aktion Mensch, Studie Digitale Teilhabe, 2023).
Ich begrüße, dass das Thema nun breiter wahrgenommen wird, möchte Unternehmen jedoch ermutigen, Barrierefreiheit nicht nur als gesetzliche Pflicht, sondern als Chance zu begreifen. Wer diesen Weg ernsthaft gehen möchte, den unterstütze ich gerne dabei – mit Fachwissen, eigener Erfahrung und einer tiefen Überzeugung für echte digitale Inklusion.
WebAIM (2023):
Overlay Fact Sheet – Nutzerbefragung, abgerufen am 10.03.2025.
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) (2023):
DBSV-Stellungnahme zu Accessibility-Overlays, abgerufen am 10.03.2025.
BITV-Test (2023):
Overlays für mehr Barrierefreiheit – Warum das keine gute Idee ist, abgerufen am 10.03.2025.
Aktion Mensch (2023):
Digitale Barrierefreiheit und digitale Teilhabe, abgerufen am 10.03.2025.